Diakonie
Aufgeben gibt es nicht!

29.09.2025
hjb
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Ich lebe gern in Deutschland«, sagt Arian bei der Begrüßung und lächelt. Er war schon oft in der unabhängigen Flüchtlingsberatung der Regionalen Diakonie an der Dill. Immer wenn es Probleme mit den Behörden gibt, wenn Fragen zu seinem Asylstatus aufkommen oder auch aus Verzweiflung – als sein Asylantrag abgelehnt wurde.
Vor zehn Jahren kam der heute 27-Jährige nach Deutschland. 40 Tage war der damals Minderjährige allein unterwegs von Afghanistan nach Hessen. "Es war eine schwere Zeit: Ich wurde im Iran festgenommen und wusste nicht, ob es überhaupt weitergeht." Arian hatte Mut und Glück. Über Serbien, Mazedonien und Österreich gelangte er größtenteils zu Fuß nach Deutschland. Von Passau aus ging es nach Frankfurt und später nach Mittelhessen. "Es war sehr hart, so ganz allein und mit all dem, was man auf der Straße erlebt hat", sagt Arian und schluckt. "Ich war sehr erleichtert, als ich es nach Deutschland geschafft hatte."
"Du musst an dich glauben"
Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling wurde Arian zunächst in einer Wohngruppe der Jugendhilfe untergebracht. Zusammen mit Jugendlichen aus unterschiedlichen Ländern besuchte er Deutschkurse und bereitete sich auf den Hauptschulabschluss vor. Oft zweifelte er, ob er das schaffen würde. "Es war alles neu für mich. Ich war allein, ohne Familie. Ich musste eine neue Sprache lernen und es gab andere Fächer. Aber immer wieder haben mich Menschen unterstützt." Die Sozialarbeiter*innen aus der Wohngruppe, die Lehrer*innen in der Schule und Flüchtlingsberaterin Paula Reimann sagten immer wieder: "Du musst an dich glauben." Arian erinnert sich und sein Lachen wird breiter. "Das war ein bisschen wie eine Ersatzfamilie. Sie haben mir Mut gemacht und ich habe es dann ja auch geschafft."
Nach dem Schulabschluss folgte der Schock: Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Paula Reimann konnte helfen: "Wir haben damals von der Beratungsstelle aus Veranstaltungen in den Wohngruppen organisiert, weil 2015 viele junge Afghanen nach Deutschland kamen und die meisten von ihnen negative Asylbescheide erhielten."
"Ich will auf eigenen Beinen stehen"
Für Arian stand fest: Er kann nicht zurück nach Afghanistan. Die bewaffneten Konflikte im Land nahmen zu und die humanitäre Situation war vielerorts katastrophal. "Mein Vater wurde von den Taliban ermordet", sagt Arian. "Ich habe Angst, dass auch mir etwas passiert." Paula Reimann informierte Arian über alternative Aufenthaltsmöglichkeiten – zum Beispiel die Möglichkeit, durch eine Ausbildung eine Duldung zu erhalten. In der Beratungsstelle nahm sie sich Zeit für seine persönliche Geschichte. "Mir war von Beginn an klar, dass er es mit einer Ausbildung gut schaffen kann, in Deutschland zu bleiben." Sie unterstützte den jungen Mann bei der Bewerbung und Jobsuche, sodass Arian eine Ausbildung in der Systemgastronomie beginnen konnte.
Er arbeitete im Schichtdienst, auch nachts und am Wochenende, und sprang immer ein, wenn jemand krank war. "Bis heute habe ich nie Geld vom Jobcenter bekommen", sagt Arian stolz. "Ich will selbst Geld verdienen." Zwei Jahre musste er nach der Ausbildung im gleichen Betrieb weiterarbeiten, damit seine Ausbildungsduldung nicht verfällt. Arian biss sich durch, denn er wollte es schaffen. Mit 21 Jahren suchte er sich gemeinsam mit einem Freund eine Wohnung. Nach und nach fand er in Deutschland eine zweite Heimat. "Ich bin sehr zufrieden, dass ich hier wohne und lebe. Ich habe sehr viel Neues gelernt und sehr viele nette Menschen kennengelernt und jetzt auch einen Job gefunden, der mir Spaß macht." Die deutsche Sprache fällt Arian nach wie vor schwer. "Aber ich versuche, von Tag zu Tag besser zu werden."
Begleitung in schwierigen Zeiten
Paula Reimann weiß, dass die meisten Menschen mit einer Ablehnung ohne die Unterstützung der Beratungsstellen abgeschoben würden, obwohl noch rechtliche Möglichkeiten offenstehen. Während die Migrationsberatung Menschen mit einem Aufenthaltsstatus unterstützt, ist die unabhängige Flüchtlingsberatung für Menschen zuständig, die sich noch im Asylverfahren oder in einem Asylklageverfahren befinden und deren Aufenthaltsstatus noch nicht geklärt ist. "Wie Arian begleiten wir die Menschen manchmal über viele Jahre", sagt Reimann. "Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Somalia oder Guinea."
Was der Beraterin zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, ist die veränderte Stimmung im Land. "2015 gab es eine Willkommenskultur. Es gab viele Ehrenamtliche, die geholfen haben, und die Integration in den Dörfern war einfach toll. Das hat sich sehr verändert, politisch und gesellschaftlich", bedauert die 30-Jährige. "Die Beratungszahlen haben sich mehr als verdoppelt, die Not der Menschen ist größer. Die Angst vor der Abschiebung steht immer im Raum – auch weil mehr Abschiebungen stattfinden und immer wieder neue Gesetze verabschiedet werden. Das verunsichert. Selbst Menschen, bei denen ein Abschiebungsverbot festgestellt wurde, kommen inzwischen regelmäßig vorbei und fragen, ob das Verbot noch gilt.
"Eine Atmosphäre der Angst"
Dass ein Leben voller Angst nicht hilfreich ist, um in Deutschland gut Fuß zu fassen, davon ist Reimann über-zeugt. Die Angst betrifft aber nicht nur die von Abschiebung bedrohten Geflüchteten, sondern auch die Berater*innen. "Wer in der Flüchtlingsberatung arbeitet, ist vielerorts Anfeindungen ausgesetzt. Ich bin froh, dass ich nicht in dem Ort wohne, in dem ich arbeite."
Von der Stimmungsmache ist auch Arian betroffen. Seit dem Attentat in Mannheim im Jahr 2024, das von einem Afghanen verübt wurde, sieht sich der 27-Jährige unter Rechtfertigungsdruck. "Ich verurteile jegliche Gewalt. Ich möchte in Deutschland arbeiten und leben. Und ich bin auch aus Afghanistan, aber doch kein Täter", sagt er und rückt den Stuhl zurecht. "Ich kenne so viele Leute aus verschiedenen Ländern, die eine Ausbildung gemacht haben und hier ganz normal leben. Warum kann man nicht mehr davon erzählen?"
Die Hoffnung ist stärker
Über Arian gäbe es noch viel zu erzählen. Seine Mutter lebt allein mit seinem jüngeren Bruder und der kleinen Schwester in Afghanistan. Der Vater ist schon seit vielen Jahren tot und 2017 starb auch noch der Onkel. Die Mutter ist krebskrank und hat keine ausreichende Gesundheitsversorgung. Arian würde sie gern besuchen und der Familie helfen. Doch alle Versuche, ein Reisevisum zu bekommen, scheiterten bisher an den afghanischen und den deutschen Behörden. Arian macht sich große Sorgen.
Seit der Machtergreifung der Taliban ist sein ältester Bruder verschwunden. "Er hat früher für das Weltkinderhilfswerk UNICEF gearbeitet und ist verhaftet worden." Der nächste männliche Verwandte, ein Bruder der Mutter, wohnt weit weg. "Durch die Taliban hat sich alles verschlechtert." Da Frauen ohne männliche Begleitung nicht reisen dürfen, sind Mutter und Schwester ans Haus gebunden. Der jüngere Bruder hat die Schule abgeschlossen, aber keine weiteren Perspektiven. "Außer, er schließt sich den Taliban an, aber das will ich auf jeden Fall verhindern." Arian gibt die Hoffnung nicht auf. Täglich versucht er, sein Leben in Deutschland zu meistern, und hofft, seine Familie bald wiederzusehen.
Hoffnung hat auch Paula Reimann. "Wir sind froh, dass Kirche und Diakonie die regionale unabhängige Flüchtlingsberatung auch weiterhin finanzieren. Wir sind das einzige staatlich unabhängige Beratungsangebot für geflüchtete Menschen in und nach einem Asylverfahren", sagt sie. Gerade in Zeiten, in denen das Recht von Geflüchteten und damit die Menschenrechte zunehmend missachtet werden, seien unabhängige Beratungsstellen für Geflüchtete wichtig, um zu verhindern, dass Menschen nicht schutz- und rechtlos würden.
» HINWEIS: Diese Reportage enthält nur Symbolbilder. Die Redaktion hat die Namen der Protagonist*innen geändert und präzise Ortsangaben bewusst weggelassen. Die Gründe: Geflüchtete haben Angst vor Repressalien aus den Herkunftsländern. Das betrifft nicht nur sie selbst, sondern besonders ihre Familien, die noch in der Heimat leben. Die Berater*innen haben zunehmend Angst vor rechten Anfeindungen, weil sie sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Hetze, verbale Bedrohungen und Diffamierungen sind leider keine Einzelfälle mehr – auch nicht im Kirchengebiet der EKHN.
» Mehr zum Jahresbericht der EKHN unter: https://www.ekhn.de/themen/mitglied-der-kirche-sein-oder-werden/mitglieds-news/neuer-jahresbericht-erschienen-evangelische-kirche-da-sein
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