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Wo gearbeitet wird, kann es leicht zu Mißverständnissen und zu Konflikten kommen. Und das nicht nur zu Corona-Zeiten. Seit 20 Jahren gibt es in der EKHN eine Konfliktberatungsstelle. Die EKHN war Pionierin in der EKD mit einem solchen Angebot an ihre haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden.
Elke Breckner war sechs Jahre lang als Konfliktbeauftragte der EKHN tätig und ist es aktuell wieder.
Frau Breckner, braucht Kirche eine Konfliktberatung?
Den Konfliktauftrag gibt es seit 20 Jahren. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) war EKD-weit Pionierin mit einem solchen Angebot an ihre Mitarbeitende. Frau Dr. Knötzele, Leiterin des Referats Personalrecht, die GMAV und die damalige Gleichstellungsbeauftragte der EKHN haben den Konfliktauftrag ins Leben gerufen.
Ich stelle mir vor, dass das damals auch Mut gekostet hat, mit so einem profilierten Angebot auf die Bühne zu treten. Das muss man sich vor Augen führen: Vor 20 Jahren wurde auch das Thema „sexuelle Belästigung“ in der ersten Handreichung zum „Umgang mit Konflikten, Mobbing und sexueller Belästigung“ positioniert! Das war, finde ich, mutig und wegweisend. In den letzten 20 Jahren ist so viel gewachsen. Dieser Samenkorn, der damals gesäht wurde, hat so viel Früchte getragen, hat so viel ermöglicht, bis heute.
Ja, ich finde, es braucht eine Zentrale Konfliktberatungsstelle in der EKHN, weil es Mitarbeitende und Leitende entlastet, weil man schnell Unterstützung erhält, weil man im geschützten Raum Schwieriges besprechen kann, und sich oftmals Wege erschließen, die herausführen aus dem, was als schwierig erlebt wird. Gleichzeitig ist es auch so: Konflikte gehören zu Organisationen und Menschen. Sie sind normal, auch wenn sie als unangenehm erlebt werden. Sie gehen nicht einfach weg.
Wir lernen als Menschen und Organisationen damit umzugehen, so dass die konstruktive Konfliktarbeit immer leichter wird. Zu diesem Lernprozess trägt die Zentrale Konfliktberatungsstelle bei. Ich habe jeden Tag meiner Arbeit als sinnvoll erlebt und gespürt, wie hilfreich es für diejenigen ist, die sich darauf einlassen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Funktion fast sieben Jahre ausfüllen durfte.
Welche Art von Konflikten kommen oft zur Sprache?
In jeder Organisation, auch in der Kirche, stoßen verschiedene Kulturen und Arbeitsweisen, ja: verschiedene „Logiken“ aufeinander. Organisationen sind „Sinngemeinschaften“. „Rational“ ist die Logik der eigenen Konstruktion der Realität. Dies ist zugleich der Filter für die Wahrnehmung der Umwelt. In Organisationen entstehen unterschiedliche Rationalitäten, also Unterschiede, die miteinander in Konflikt treten.
Ich nehme es mal von der Kirche weg: Zwischen der Verwaltungsmitarbeiterin und dem Sozialarbeiter, zwischen der Ärztin und dem Pfleger, zwischen dem Creative Director und dem Controller kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen und beide verstehen die Welt nicht mehr. Was für die einen als absolut sinnvoll und selbstverständlich erscheint, wird von dem anderen als komplett unsinnig betrachtet. Wer hat das noch nicht erlebt? Hinter solchen Konflikten stecken nicht simple Verständigungsprobleme, sondern ein Zusammenprallen unterschiedlicher Sinnkonstruktionen. Diese für sich genommen erleichtern zwar eine wirksame arbeitsteilige Bearbeitung spezifischer Themen oder Problemlagen, aber der Preis dafür ist hoch: Diese Sinnkonstruktionen oder Rationalitäten führen dazu, dass die gelingende Kommunikation mit anderen Rationalitäten ungleich schwieriger wird.
Wenn Mitarbeiter*innen unvermittelt mit „fremden“ Sinnkriterien konfrontiert werden, sind sie gefordert, sich nicht nur an der eigenen, vertrauten Rationalität zu orientieren, sondern sich mit „fremden Rationalitäten“ auseinanderzusetzen und die Widersprüche zwischen den verschiedenen Rationalitäten zu handhaben, damit die „Konflikte“ für die Organisation fruchtbar werden können. Letztendlich geht es bei diesem „Typus“ von Konflikten um die Entwicklung von Kompetenzen in Umgang mit Unterschieden, im Aushalten und Balancieren von Widersprüchen bis hin zum Management von Paradoxien (zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, zwischen Leitungsverantwortlichen und Mitarbeitenden, zwischen Verwaltungslogik und Logik der Sozialen Arbeit im kirchlichen Kontext u.a.m.).
Es ermöglicht Kirche in dieser weit aufgespannten „Multi-Logik“ viel zu bewegen, aber es führt eben auch zu Konflikten, die unvermeidbar sind. Lediglich an der Art und Weise des Umgangs mit diesen Unterschieden, die in den Konflikten aufeinander treffen, kann gearbeitet werden. Daher sehe ich die Konfliktberatungsstelle auch als einen Ort, der sich nicht selbst überflüssig macht („Irgendwann sind alle Konflikte gelöst“), sondern als Systemteil im komplexen „Management von Unterschieden, Widersprüchen, Paradoxien.“
Aber nicht alle Konflikte sind natürlich „multi-rational“. Es gibt auch Auseinandersetzungen innerhalb der gleichen Rationalität. Wenn sich zwei Gemeindepädagog*innen um die konzeptionelle Ausrichtung ihrer Arbeit „streiten“, wenn zwei Verwaltungskräfte unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der effizienten Organisation ihrer Arbeit haben, dann ist das ein Konflikt innerhalb derselben Rationalität. Hier ist es in der Regel leichter und schneller, in den Lösungsraum zu treten.
Welche Tipps können Sie kirchlichen MitarbeiterInnen geben?
In aller erster Linie möchte ich alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ermutigen, sich selbst ernst zu nehmen: Wenn ich ein Bauchgrummeln habe, wenn mir etwas schlecht aufstößt, dann will das ernst genommen und nicht weg gedrückt werden. Das ist erstmal das Wichtigste: Innehalten, wahrnehmen. Und dann schließt sich einer meiner Lieblingssätze an: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.“
Nutzen Sie den Raum der Zentralen Konfliktberatungsstelle, um Ihre Reaktionen auf schwierige Situationen zu reflektieren und sich zum Beispiel Fragen zu stellen wie: Um was geht es mir gerade wirklich? Wie wichtig ist es mir? Und welcher nächste Schritt führt hin zu mehr Lebendigkeit?
Oder wenn zwei oder drei merken, irgendetwas blockiert uns hier, wir sind nicht im Arbeitsfluss miteinander, etwas „stört“, aber wir kommen nicht ran und heraus. Erlauben Sie sich die Entlastung von einem Konflikt-Moderator oder einer Konflikt-Beraterin, die Ihnen den Rahmen und Raum hält, damit etwas zur Sprache kommen darf, damit etwas seinen Weg finden darf.
Eine meiner zentralen Beobachtungen, die über die Jahre konstant geblieben ist, ist: Die Menschen melden sich, wenn die Situation schon fast aus dem Ruder gelaufen ist. Ich möchte gerne jeden und jede ermutigen, die leisen und zarten Töne hinreichend ernst zu nehmen und zu einem frühen Zeitpunkt sich dem zuzuwenden, was gelöst werden will.
Welche Tipps können Sie kirchlichen ArbeitgeberInnen geben?
Im Prinzip dieselben Impulse, die ich auch den Mitarbeiter*innen geben möchte. Ich habe einige wenige Male erlebt, dass der Vorgesetzte, die Leiterin sich davon „bedroht“ gefühlt hat, dass der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin bei der Konfliktberatungsstelle „angeklopft“ hat. Ich möchte gerne unterstreichen: Die Konfliktberatungsstelle eröffnet, hält oder gestaltet mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Räume, damit sich etwas lösen darf, was gerade schwierig oder schwer ist.
Ja, es bedarf Mut, sich darauf einzulassen, seine eigenen Anteile an der herausfordernden Situation zu reflektieren und zu sich zu nehmen. Ja, es bedarf Klärungsarbeit, um zu unterscheiden, was geändert werden kann und was akzeptiert werden muss.
Ja, es ist harte Arbeit, verschiedene Rationalitäten und Sinnkonstruktionen auszuhalten und im Sinne des Wohles des Ganzen in der Unterschiedlichkeit zu halten. Mein konkreter Impuls an kirchliche Arbeitgeber*innen wäre: Nutzen Sie die Konfliktberatungsstelle für sich und ihre Mitarbeiter*innen.
Einige sagen, Streit ist wie ein reinigendes Gewitter, für andere ist es nur verletzend.
Worin liegt der Unterschied?
Wahrscheinlich ist eine Auseinandersetzung, ein Gespräch in dem Unterschiede zwischen Menschen ausgetragen werden, nie ein leichter Sommerspaziergang. Es kann mal „heiß hergehen“, und dann hat man aber auf einmal etwas verstanden, was man vorher nicht verstanden hatte, oder man man hat den anderen in seinem So-Sein wirklich spüren dürfen und sieht etwas in einem anderen Licht.
Eine konstruktive Konfliktaustragung bleibt sanft in Worten und Gedanken. Es gibt auch das schöne Sprichwort: „Halte dem Anderen die Wahrheit hin wie eine warme Jacke, in die er/sie im Winter hineinschlüpfen kann.“ Das ist eine hohe Kunst, wohl wahr, aber genau darum geht es: Sich selbst auszudrücken, sich selbst in seinem So-Sein zur Verfügung zu stellen mit seinen Resonanzen und Bedürfnissen, und dann Innezuhalten, den Raum zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen, um zu finden, was diese „warme Jacke“ sein könnte, die es dem anderen ermöglicht, hineinzuschlüpfen.
Grenzen Aussagen wie „Jeder ist ersetzbar“ an Mobbing?
So eine Aussage ist natürlich hart zu „nehmen“. Mir würde es nicht gut gehen, wenn ich das gesagt bekäme. Es würde mir weh tun. Wenn es mir gelingt, in die Distanz zu kommen, dann weiß ich: Ja, das stimmt. Die Menschen sind in Organisationen ersetzbar. Und ich würde mich fragen, was mein Gegenüber mit so einer Aussage eigentlich wirklich sagen möchte.
Da ist das Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun immer wieder hilfreich, finde ich. Eine meiner Haltungen ist auch, mit unbedingtem Wohlwollen zu Hören. Da sagt also der Vorgesetzte, er ist verunsichert darüber, was er erwarten darf und kann. Und die Person, die das sagt, scheint viel Druck zu haben.
Sie fragen, ob solche Aussagen an Mobbing grenzen. Mobbing ist als zielgrichtete, systematische und längerfristige Ausgrenzung, Herabwürdigung und Diskriminierung zu verstehen, im schlimmsten Fall mit der Absicht, die betroffene Person aus ihrer Arbeitsstelle zu drängen. Aus einer einzelnen Aussage kann man also nicht beurteilen, ob es hier um Mobbing geht.
Ich als Betroffene würde auf diese Weise damit umgehen: Da setzt mir etwas zu. Da verletzt mich etwas. Da setzt mich etwas unter Druck. Jetzt muss ich es erstmal für mich „sortieren“, was da los ist. Und ich muss auch erstmal für mich sorgen, mich meiner Wunde zuwenden, um wieder mit meinem „Erwachsenen-Ich“ in Kontakt zu sein. Dafür würde ich mir ein Konflikt-Coaching bei der Konfliktberatungsstelle holen. Und dann, wenn ich mich der Begegnung gewachsen fühle, bitte ich um ein moderiertes Gespräch mit der anderen Person.
Ich glaube, es kann anders werden, wenn wir auf Angriffe nicht mit Gegenangriffen reagieren, Einladungen zum Kampf nicht annehmen, im Kontakt mit uns selbst und dem Gegenüber bleiben, sich selbst und den anderen radikal ernst nehmen (in aller Unterschiedlichkeit bis hin zur Widersprüchlichkeit)… Dann kommt etwas in Bewegung und es entstehen Lösungen, die von allen akzeptiert werden können. Es ist wohl nie ein leichter Sommerspaziergang durch solche Prozesse durchzugehen. Aber die reinigende Kraft nach dem Gewitter, die kann sich wirklich entfalten. Das habe ich immer wieder erleben dürfen.
Mich haben die Geschichten der Menschen bewegt. Jede einzelne Geschichte, die ich erzählt bekommen habe, hat mich innerlich bewegt und berührt. Das war meine Art und Weise, diesen Auftrag zu erfüllen, die Geschichten nah an mich heran kommen zu lassen und in meinem Herzen zu bewegen. Und Gott sei Dank hatte ich eine eine tolle Supervisorin, Frau Elisabeth Rohr, die mich über die Jahre begleitet hat, und mir geholfen hat, trotz dieser „Nähe“ die professionelle Distanz und Rolle zu halten.
Das Interview mit Elke Breckner, der Zentralen Konfliktbeauftragten der EKHN, ist am 12. Oktober 2020 geführt worden. An die Zentrale Konfliktberatungsstelle können sich alle haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden der EKHN wenden.
» Mehr Informationen unter https://www.ipos-ekhn.de/zkbs
» Kontakt:
Die Zentrale Konfliktbeauftragte der EKHN ist erreichbar unter 0151 15 18 14 19 oder konfliktbeauftragte@ekhn.de.
Broschüren und Flyer können bestellt werden bei der Verwaltung der Zentralen Konfliktbeauftragten unter Telefon 06031 / 162975 oder per E-Mail unter verwaltung.konfliktauftrag@ekhn.de
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