Impuls
Schaut einander mit Würde an
09.12.2025
hjb
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Andacht zum Abschluss des Dekanatsneujahrsempfangs
03.12.2025 Theologisches Seminar Herborn
Liebe Gäste,
liebe Freundinnen und Freunde unseres Dekanats,
wenn man in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, könnte man meinen, unsere Gesellschaft stehe kurz vor einer Art Generationenschlacht. Kaum wird über die Rente gesprochen, wird daraus sofort ein Kampf:
Die Jungen gegen die Alten.
Die einen angeblich überfordert, die anderen angeblich überversorgt.
Ein Schlagwort jagt das nächste – vom „Rentengipfel“ bis zur „Kostenlawine“.
Und ich frage mich:
Ist das wirklich unsere Realität?
Oder ist es eher ein Symptom dafür, wie sehr wir versucht sind, komplexe Themen in einfache Gegensätze zu pressen? So wie es modern zu sein scheint. Ist das Feindbild klar, hat der Tag Struktur.
Der Vortrag von Prof. Dr. Pantel hat uns mitten hineingenommen in das, was unsere Gesellschaft prägt wie selten zuvor: Spannungslinien zwischen den Generationen. Man könnte sagen: Der Ton ist rauer geworden. Und manchmal fühlt es sich wirklich an wie ein „kalter Krieg“ – höflich an der Oberfläche, aber innerlich frostig.
Generationenkonflikte: biblisch betrachtet – oft überraschend modern
Wenn wir in die Bibel schauen, begegnen uns Generationen nicht als harmonisches Nebeneinander, sondern als Teil eines großen, manchmal chaotischen, stets menschlichen Geflechts. Generationenkonflikte sind alt. Erschreckend alt. Und manchmal so schräg, dass man darüber fast schmunzeln muss.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das man nicht unbedingt in einer Andacht erwartet: Als König David alt geworden war und fror, legte man ihm – so erzählt das 1. Buch der Könige – eine junge Frau ins Bett, Abischag aus Schunem, „damit sie den König wärme“.
Ein merkwürdiges Bild. Aus heutiger Sicht zurecht ein irritierendes Bild.
Aber es zeigt: Schon damals rang man mit der Frage, was die ältere Generation braucht – und was die jüngere leisten soll.Und wie schnell man dabei ins Schlingern geraten kann.
Oder die vielen Geschichten von Vätern und Söhnen, Müttern und Töchtern:
Isak und Jakob, Ruth und Naomi, Maria und Jesus.
Es knirscht, es reibt, und gerade darin geschieht Entwicklung.
Generationenkonflikte historisch – und die Frage der Verantwortung
In unserem eigenen regionalen Gedächtnis finden sich diese Konflikte ebenso.
In alten Altenteilurkunden aus Mittelhessen steht fast pedantisch aufgeschrieben, wie die jüngere Generation für die ältere zu sorgen hatte:Faszinierende Dokumente. Sie listen minutös auf, was die jüngere Generation der älteren schuldig war:
Wie viel Feuerholz, wie viele Brote, wie oft man das Vieh versorgen musste – und sogar, wie viele „freundliche Besuche“ im Monat sein sollten.
Dahinter steht nicht nur die Sorge um Versorgung. Sondern ein Bewusstsein:
Wir gehören zusammen.
Wir bleiben füreinander verantwortlich.
Und Verantwortung ist niemals ein kaltes Wort.
Was unser Glaube dazu sagt – und was er uns heute zumutet
Der christliche Glaube ist weit davon entfernt, Generationen gegeneinander auszuspielen.
Er stellt nicht Jung gegen Alt, sondern stellt beide unter denselben Auftrag: Nächstenliebe.
Das beginnt bei jenem Gebot, das in allen Debatten erstaunlich modern geblieben ist:
„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“
Es ist das vierte Gebot. Das erste, das über die Beziehung zu Gott hinaus in die Gesellschaft greift. Und dieses Gebot ist kein romantisches Familienfoto, sondern eine Haltung:
Es sagt nicht:
Die Älteren haben immer recht.
Es sagt auch nicht:
Die Jüngeren müssen alles ausbaden.
Es sagt:
Schaut einander mit Würde an.
Nehmt die Lebensleistung, die Bedürfnisse und die Perspektiven der anderen ernst.
Mir gefällt ein Satz aus dem Neuen Testament besonders in diesem Zusammenhang, ein Satz, der so schlicht ist, dass man ihn fast übersieht:
„Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6,2)
Das meint:
Jede Generation hat Lasten. Und jede hat Gaben.
Die Jüngeren bringen Veränderung.
Die Älteren bringen Erfahrung.
Und Zukunft entsteht dort, wo beides miteinander in Beziehung bleibt.
Wir stehen am Beginn eines neuen Kirchenjahres – und der Advent erinnert uns an etwas, das leicht verloren geht, wenn Debatten sich verhärten:
Gott selbst kommt nicht als Vertreter einer Generation.
Nicht als „Alter“, der Weisheit beansprucht,
nicht als „Junger“, der Veränderung fordert.
Er kommt als Kind.
Als Anfang.
Als Möglichkeit.
Und damit stellt er unsere Kategorien leise infrage.
Er sagt nicht: „So steht ihr zueinander.“
Sondern: „Von hier aus könnt ihr neu aufeinander zugehen.“
Advent ist darum keine Stimmung.
Advent ist eine Zumutung:
Dass wir uns nicht mit den Frontlinien zufriedengeben, die man uns vorzeichnet.
Dass wir der Versuchung widerstehen, Verantwortung gegeneinander aufzurechnen.
Dass wir uns fragen, was es bedeutet, wenn Gott unsere Zukunft nicht in Blöcken aus „Alt“ und „Jung“ denkt –
sondern als ein gemeinsames Werden.
Vielleicht ist das der eigentliche Gegenimpuls zum „kalten Krieg der Generationen“:
Nicht die Behauptung, wir seien uns einig.
Sondern der Glaube, dass wir gerufen sind, einander zu sehen, ehe wir urteilen;
einander zu hören, ehe wir rechnen;
einander zu tragen, ehe wir Bilanz ziehen.
So wächst Hoffnung und Zuversicht.
Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Er segne deine Jahre – die vergangenen und die kommenden.
Er öffne dir das Herz für die Menschen,
die vor dir waren,
und für die, die nach dir kommen.
Gott stärke in dir die Liebe,
die das Trennende überwindet,
und die Hoffnung, die Generationen verbindet.
So begleite dich der dreieinige Gott
auf den Wegen dieses neuen Jahres:
der Vater, der uns Ursprung gibt,
der Sohn, der uns Zukunft schenkt,
und der Heilige Geist,
der zwischen uns Brücken baut.
Amen.
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