70 Jahre 'Wort zum Sonntag'
Mit Ringen vor der Kamera jongliert
Becker-von Wolff21.11.2024 hjb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Nach der 1952 erstmals ausgestrahlten Tagesschau ist „Das Wort“ die zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen. Unter den mehr als 320 Sprecherinnen und Sprecher war mit Stefan Claaß auch eine Persönlichkeit aus unserer Region und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit dabei. Ein Rückblick.
Zu den prominentesten Autoren beim „Wort zum Sonntag“ gehörten die evangelischen Pfarrer Jörg Zink, Heinrich Albertz, Bischöfe Otto Dibelius (Berlin Brandenburg) und Hanns Lilje (Hannover) sowie auf katholischer Seite die Ordensschwester Isa Vermehren, Pfarrer Lothar Zenetti, Pater Klemens Jockwig oder Pater Johannes Leppich.
Als Autor und Sprecher acht Jahre dabei
In der Regel sind die Sprecherinnen und Sprecher drei Jahre dabei. Pfarrer Stefan Claaß war es von 2007 bis 2015. Seine Sprechertätigkeit wurde mehrfach verlängert. Erst war er als evangelischer Gemeindepfarrer beim SWR in Mainz und mit seinem Umzug nach Herborn später auch als Professor am Theologischen Seminar für den HR in Frankfurt tätig. Gerne erinnert er sich an die verschiedenen Beiträge für „Das Erste“ - und die Reaktionen darauf.
Das „Wort zum Sonntag“ erreicht knapp zwei Millionen Zuschauer pro Sendung und gehört damit zu den quotenstärksten kirchlichen Sendungen in Deutschland, so steht es auf der Internetseite der ARD. Seit der ersten Ausstrahlung im Jahr 1954 hat sich einiges geändert: Markierte die Sendung früher das Ende des Fernsehprogramms, so steht es heute mittendrin – zwischen Tagesthemen und dem Spätfilm.
Als 1970 das „Wort zum Sonntag“ von Samstagabend auf den späten Sonntagabend verschoben werden sollte, hagelte es Proteste von den Zuschauern – der Sendeplatz blieb bis heute erhalten. Allerdings wurden aus den zehn Minuten Sendezeit zunächst fünf, heute sind es vier Minuten. „Einen direkten Einfluss auf das Format der Sendung hatten wir nicht“, sagt Pfarrer Stefan Claaß, „die Rahmenbedingungen werden zwischen der EKD und der ARD ausgehandelt“.
Ein Sarg mit im Studio
Der heutige Theologieprofessor für Predigtlehre und Gottesdienstgestaltung am Theologischen Seminar der EKHN war gerne mit dabei: „Für das Thema und die Gestaltung der vier Minuten waren wir die Hauptverantwortlichen“, sagt er, "im November 2012 habe ich zum Thema Tod gesprochen und mir einen Sarg ins Studio stellen lassen", erzählt Stefan Claaß, "die Diskussion im Nachgang zur Sendung waren immer sehr interessant: manchmal entwickelte sich die zunächst geäußerte Ablehnung von Zuschauern in ein echtes Interesse für den Glauben. So erinnere ich mich an einen Austausch mit einem 16Jährigen. Er schrieb mir, weil er mit seinen Eltern nicht über das Thema Tod reden konnte."
Verständlich und anschaulich sein
Mit seinen Beiträgen hat er gerne auch Kirchenferne ansprechen wollen und wollte für sie auch verständlich sein. Für den Theologieprofessor spielt „das Evangelium mitten in der Welt“, daher freuen ihn besonders Drehorte außerhalb des Studios: „Ich erinnere ich mich gerne an die Evangelischen Kirchentage in Bremen und Dresden, die ich bewusst dafür wählte“.
Mehrmals hat er das "Wort zum Sonntag" am Abend des Eurovision Song Contest gesprochen. So war er zur Fernsehaufzeichnung in Hamburg in einem Hochhaus mit Blick auf die Reeperbahn."2010 war ich für das Wort zum Sonntag live in Oslo und habe den Sieg von Lena vorausgesehen und im Beitrag angedeutet", sagt Stefan Claaß verschmitzt.
In einer Sendung zur Olympia wollte er das Logo mit den fünf bunten Reifen einblenden lassen: "aber das war dann aus Kostengründen nicht möglich, wir hätten eine Lizenz dafür kaufen müssen. Also ging ich in einen Spielzeugladen und kaufte mir fünf farbähnliche Ringe, mit denen ich dann im Studio jonglierte", erinnert sich Stefan Claaß lächelnd.
Gegenseitig im Dienst vor der Kamera bestärkt
In seiner Zeit als aktiver Sprecher für die ARD hat er gerne mit Annette Behnken, Alfred Buß, Dr. Wolfgang Beck, Gereon Alter, Verena Maria Kitz, Nora Steen und Michael Broch zusammen gearbeitet. Zweimal im Jahr haben sich die insgesamt acht Sprecherinnen und Sprecher der evangelischen und der katholischen Kirche gemeinsam mit den kirchlichen Rundfunkbeauftragten und einem Media-Trainer zu einem mehrtägigen Austausch getroffen. Eines dieser Treffen hat auch im Schloss Herborn, dem Theologischen Seminar der EKHN, stattgefunden.
Es war mehr als nur Manöverkritik und Kamera-Training. „Es war ein guter Austausch unter Kolleginnen und Kollegen“, sagt Pfarrer i.R. Alfred Buß, der damals auch in Herborn war, „wir haben uns mit den katholischen Kollegen in dieser kleinen Runde getroffen, um uns gegenseitig im Dienst vor der Kamera zu schulen. Wir sind wertschätzend miteinander umgegangen und haben uns so gegenseitig bestärkt“.
In wenigen Minuten das Wesentliche sagen
„Die Herausforderung besteht darin in wenigen Minuten den Menschen etwas Wesentliches vom Glauben zu sagen, dabei stets auf die eigene Körpersprache zu achten und an einem Stück zu sprechen", sagt Alfred Buß. Der ehemalige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen war wie Pastorin Annette Behnken seit 2013 mit dabei. Beide wissen, „die ersten 12 Sekunden sind entscheidend, ob die Menschen dran bleiben oder wegzappen“.
Es sei eine besondere Gemeinde, die am späten Samstagabend das "Wort zum Sonntag" sehe: „Ich kann damit leben, dass manche mich ausschalten. Spannend finde ich, wie die Zuschauer das Gehörte mit ihrem Leben verbinden“, sagte Annette Behnken, die ebenfalls am Treffen 2012 im Herborner Schloss teilgenommen hat.
Auf Aktualitäten reagieren
Einzelne formale Experimente gab es beim „Wort zum Sonntag“ immer wieder: Es wurden auch schon mal Live-Sendungen aus einem Bahnhof, einem Kreißsaal oder von einer Autobahnbrücke ausgestrahlt. Pfarrer Heiko Rohrbach brachte seinen Hund Jenny mit ins Studio und setzte ihn neben sich auf die Couch. In Erinnerung bleiben den Zuschauern vor allem Sendungen, die aktuell auf Ereignisse eingehen. So ließ der evangelische Pfarrer Jörg Zink nach der Flugzeugentführung in Mogadischu am 15. Oktober 1977 seinen geplanten Text kurzerhand fallen und formulierte ein neues "Wort" im Studio, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Martin Kruse, sprach am 11. November 1989 zum Fall der Mauer.
Auch Stefan Claaß hat es schon erlebt, dass zuvor aufgenommene Beiträge neu aufgenommen werden mussten, weil es die Nachrichtenlage erforderte. Der Alt-Präses Alfred Buß musste im August 2014 sein Wort zu Krieg und Frieden neu sprechen, nachdem Obama die ISIS aus der Luft angriff. Für Stefan Claaß war die Nuklear-Katastrophe in Fukushima ein Grund, einen neuen Beitrag aufzunehmen.
Nervös sei sie beim ersten Mal vor der Kamera nicht gewesen, sagt Annette Behnken. „Da die Beiträge in der Regel vorher aufgezeichnet werden, kann da nichts schief gehen“ , sagt die Pastorin, die auch im NDR-Hörfunk die Radioandachten spricht. „Wenn etwas mal nicht klappt, wird es neu aufgenommen“. Im Studio stehe sie meist allein vor einer ferngesteuerten Kamera. „Viel aufregender ist für mich, wie der Beitrag bei den Menschen ankommt", sagt die Pastorin aus Niedersachsen, die noch zum aktuellen Team zählt.
» Unsere Fotos oben:
Das ökumenische Team für das „Wort zum Sonntag“ beim Training in Herborn: Annette Behnken (von links), Alfred Buß, Dr. Wolfgang Beck sowie rechts neben dem Monitor stehen Gereon Alter, Stefan Claaß und Verena Maria Kitz. Es fehlen Nora Steen und Michael Broch. FOTO: BECKER-VON WOLFF
Stefan Claaß im Hochhaus über der Reeperbahn: Hier hat er zum Eurovision Song Contest 2013 das Wort zum Sonntag gesprochen. Mit Gestik und Körperhaltung spielte Stefan Claaß in einem Beitrag im Sommer 2015: „Lebe lang und in Frieden“. FOTO: STEFAN CLAAß/Privat
Dr. Stefanie Schardien sprach am 20. April 2019 ihr erstes „Wort zum Sonntag“. Die Theologin ist seit März 2024 Theologische Geschäftsführerin des Gemeinschaftswerkes Evangelischer Publizistik (GEP).
» Mehr zur Sendung "Das Wort zum Sonntag"
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken