Jahresempfang
Zukunft gibt es nur im Plural
Becker-von Wolff13.12.2024 hjb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Zukunftsforscher Sascha Eschmann machte Mut, den Zukünften positiv zu begegnen. Denn, das sagte er gleich zu Beginn, die Zukunft gäbe es nur im Plural. Wie sich unsere Welt oder unsere Gesellschaft in Zukunft verändere, das ließe sich nicht klar voraussagen. Es seien immer mehrere Szenarien denkbar, somit mehrere Zukünfte. Wie der Lichtkegel einer Taschenlampe, der nach vorne breiter werde, könnten sogenannte Mega-Trends nur den Rahmen des Gestaltbaren vorgeben, erläuterte Sascha Eschmann. Er nannte mit Urbanisierung, Globalisierung und Individualisierung drei Megatrends, deren lokale Ausprägung unumkehrbar geworden seien.
Für den Zukunftsforschenden ist es bedeutsam sich auf die möglichen Zukünfte einzustellen. Klar sei, der Wandel lasse sich nicht aufhalten. Und das war schon immer so, sagte Eschmann, denn Stillstand gibt es weder in der Natur noch in Kultur oder Gesellschaft. Er lud die Anwesenden kurz ein, sich an die 1980er Jahre zurück zu erinnern. Damals löste die CD die Musikcassette oder die Schallplatte ab, es gab den Walkman für unterwegs. Wer hätte damals an das Internet oder das Smartphone gedacht? So habe die Firma Nokia mit dem Festhalten am Tastentelefon ihre damalige Marktpositionierung endgültig verloren, sagte Eschmann.
Aktuell erlebe unsere Gesellschaft einen stark beschleunigtem Wandel in einer komplexen Welt: Globale Krisen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die technologische Veränderung durch die Digitalisierung sorgen für eine starke Verunsicherung. Manche sehen gesellschaftliche Werte bedroht – aber in früheren Jahren galt die Einführung des Fernsehens auch als ein Vorbote des gesellschaftlichen Verfalls, sagte Sascha Eschmann.
Für Organisationen und auch für die Kirche seien Veränderungen schmerzhaft, wenn Dinge, die Jahrzehnte oder im Falle der Kirche vielleicht Jahrhunderte funktioniert haben, nun versagen. Aus Überforderung werde Angst und Angst sei kein guter Ratgeber für gelingende Transformationen. Wichtig sei es, die alten Formen auf den Prüfstand zu stellen.
Der Zukunftsforschende machte Mut, im stetigen Wandel stets auch die Chancen zu Neuem zu sehen, anstatt dem Alten hinterher zu trauern. Manchmal helfe es, das Label zu verändern, um für die Menschen verständlich zu bleiben. Kirche habe gemeinschafts- und sinnstiftende Werte, die neu erklärt werden müssten. In der freien Wirtschaft hätten sich bestimmte Methoden und Haltungen etabliert, die in sozialen Organisationen noch nicht angewendet werden, hier lohne sich ein Blick über den Tellerrand. Dazu gehöre es, neue Ideen zuzulassen und auszuprobieren.
In letzter Konsequenz bedeute dies, sich als Organisation mehr an das „Why“ zu halten als an das „What“: „Fragen Sie nicht, wie Sie wieder Menschen in die Kirche und den Gottesdienst von heute holen können. Fragen Sie besser, welche Kirche die Menschen in Zukunft brauchen. Das ist dann die Chance, die im Wandel steckt", sagte Sascha Eschmann abschließend.
Präses Dr. Wolfgang Wörner vom Evangelischen Dekanat an der Dill und Karl Müßener, der Leiter des Diakonischen Werkes, konnten im Schloss Herborn gemeinsam mit Dekan Andree Best knapp 60 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sozialwesen, aus den kirchlichen und diakonischen Einrichtungen sowie aus den Kirchengemeinden willkommen heißen. Den offiziellen Teil umrahmte Kantor Johann Lieberknecht musikalisch am Flügel. Jazzig unterlegt interpretierte der Kirchenmusiker bekannte Advents- und Weihnachtslieder. Zum Gelingen trug ebenso das Serviceteam des Tagungshauses um Betriebsleiter Stefan Lehnis bei. Im Fackelschein gab es im Schlosshof deftig Gegrilltes sowie Glühwein und Punsch.
Zur Person
Sascha Eschmann (49) hat ursprünglich Medienwissenschaften studiert und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der kritischen Zukunftsforschung, also der Frage, wie und warum wir uns in der Gegenwart bestimmte Zukünfte vorstellen.
Sein Fokus liegt dabei auf der Beobachtung und des Verstehens von Wandel - gleichermaßen auf der individuellen, der organisatorischen und der strukturellen Ebene. Abseits des allgegenwärtigen Strebens nach Innovation geht es ihm um die Frage, wie Wandel gestaltet werden kann und wie wir besser verstehen, was genau in Zeiten bedeutsamer Transformationen passiert und wie wir vor allem im Wandel immer die Chancen sehen anstatt die Angst vor Veränderung. Er ist davon überzeugt, dass wir als Menschen das Neue nur schaffen können, wenn wir mutig handeln und bereit sind, das Alte loszulassen.
Als freiberuflicher Experte stößt er Transformationsprozesse an und begleitet diese in Unternehmen und hat 2020 den Verein zur Erforschung und Entwicklung radikal neu gedachter Zukünfte gegründet, um in einem völlig freien Rahmen wünschenswerte Zukunftsvisionen zu entwickeln.
» Link: https://zukuenfte.jetzt
Unsere Fotos oben:
Präses Dr. Wolfgang Wörner, die stellvertretende Dekanin Anja Vollendorf, Dekan Andree Best vom Evangelischen Dekanat an der Dill mit Referent Sascha Eschmann und Karl Müßener, dem Leiter der regionalen Diakonie an der Dill mit Kantor Johann Lieberknecht (v.l.n.r.).
Kleines Foto: Referent Sascha Eschmann (rechts) im Gespräch mit Karl Müßener, dem Leiter der regionalen Diakonie an der Dill.
FOTOS: Becker- von Wolff
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