1 Jahr ForuM-Studie:
Ein Jahr nach "ForuM"
07.01.2025 pwb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
© gettyimages, svetlana krivencevaFälle sexualisierter Gewalt, in denen die EKHN institutionelle Verantwortung trägt und die strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden können, werden der Anerkennungskommission vorgelegtveröffentlicht 15.01.2025
von Online-Redaktion der EKHN
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat Fragen im Umgang mit sexualisierter Gewalt seit zwei Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt ihrer Präventionsarbeit gemacht. Betroffenen Menschen hilft die EKHN individuell und unbürokratisch. Dies kann aber nur ein Teil der Arbeit sein. Wir arbeiten hin auf eine flächendeckende Sensibilisierung, die ein Umfeld schafft, in dem sexualisierte Gewalt entweder verhindert, oder sie früh wahrgenommen wird und Meldungen zu zügigen und angemessenen Schritten führen.
Missbrauchsstudie beleuchtet systemische Risiken
Um auch systemisch bedingte Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu kennen und gegen sie vorgehen zu können, hatte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2018 eine Aufarbeitungsstudie beschlossen. Durchgeführt wurde sie von unabhängigen Forschenden von verschiedenen deutschen Hochschulen und Instituten. Am 25. Januar 2024 hat der Forschungsverbund ForuM schließlich die Studie zur "Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie Deutschland" (kurz ForuM) veröffentlicht.
Aktualisierte Fallzahlen sexualisierte Gewalt
Stand Ende Dezember 2024
Die ForuM-Studie hat Gewalt zwischen haupt- und ehrenamtlich Beschäftigten und Minderjährigen im Zeitraum von 1945 bis 2020 erfasst, und sie hat nicht unterschieden zwischen Verdachtsfällen und bestätigten Fällen. Der EKHN sind 45 solcher Fälle bekannt.
Wenn auch sexualisierte Gewalt zwischen Erwachsenen und zwischen Minderjährigen betrachtet wird, sind uns 98 Fälle im Zeitraum von 1945 bis Ende 2024 bekannt. Seit Veröffentlichung der ForuM-Studie sind 9 bislang unbekannte Fälle hinzugekommen. 87 davon sind uns durch Meldungen bekannt, 11 haben wir durch eigene Aktenrecherche entdeckt. Wir wissen von 98 betroffenen Personen und 94 beschuldigten Personen. Wir gehen davon aus, dass das Dunkelfeld größer ist.
Hinter diesen Zahlen stehen Fälle verbaler Übergriffe bis hin zu heute strafbaren Verhaltensweisen. Rechtlich gesehen kann die Schuld in einigen Fällen nicht nachgewiesen werden, nicht in jedem Fall wollen betroffene Personen eine Strafanzeige stellen. Etliche Beschuldigte sind bereits verstorben. Die Beschuldigten kommen aus dem ehrenamtlichen und hauptamtlichen Dienst, darunter u.a. pädagogische Mitarbeitende, Pfarrer und Kirchenmusiker.
Die Anerkennungskommission hat (Stand 13.12.2024) 24 Entscheidungen getroffen.
Maßnahmen der EKHN seit Veröffentlichung der ForuM-Studie
Anonymer Meldekanal
Bereits im Vorgriff auf die ForuM-Studie wurde als zusätzlicher Meldekanal für Taten bzw. Verdachtsfälle eine anonyme digitale Meldemöglichkeit geschaffen (vergleichbar mit Whistleblower-Zugängen). Entgegen unserer Erwartungen wurde dieser Weg bisher nur in einer Handvoll von Fällen genutzt, wobei die Meldungen sehr vage blieben. In drei Fällen führ(t)en die Meldungen zu vertieften Recherchen, die bisher – noch – keine Ergebnisse erbrachten.
Schulungen zum Thema sexualisierte Gewalt
Im vergangenen Jahr haben Veranstaltungen unterschiedlicher Art und Dauer stattgefunden. Diese richteten sich an Verantwortliche in Kirchenvorständen, an Angehörige verschiedener Berufsgruppen in der Landeskirche wie etwa die hauptberuflichen Kirchenmusiker:innen, mit denen an Leitlinien für die Kirchenmusik gearbeitet wurde, oder auch an die Fachberatung für Kindertagesstätten.
Während der Frühjahrssynode war das Thema Umgang mit sexualisierter Gewalt Schwerpunktthema des Eröffnungstages. Die Synodalen beschäftigten sich in Gottesdienst und während der Tagung mit durch die Studie aufgeworfenen Fragen. Der Tag war gemeinsam mit betroffenen Personen vorbereitet und durchgeführt worden.
Insgesamt kann man sagen, dass die ForuM-Studie im Gegensatz zur wahrnehmbaren Resonanz in der allgemeinen Öffentlichkeit in unserer Landeskirche eine anhaltende Wirkung auf viele Kirchenmitglieder hat. Die Nachfrage nach Informationen und Schulungen ist gestiegen und wurde durch den Eröffnungstag der Frühjahrssynode weiter verstärkt.
Die Teilnehmendenzahl in den verschiedenen Veranstaltungen ist – u.a. aufgrund des spezifischen Zuschnitts auf Berufsgruppen und der Veranstaltungsart – sehr unterschiedlich. Etliche digitale Schulungen waren möglichst niedrigschwellig nicht an eine Anmeldung gebunden. Dennoch können wir davon ausgehen, dass mit allgemeinen Informationsveranstaltungen und konkreten Schulungen rund 1.800 Personen erreicht wurden.
Neuanbindung der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt
Aufhängung direkt am Amt des Kirchenpräsidenten, personelle Verstärkung (mehr Kapazitäten für diese Arbeit bei den Mitarbeitenden der Fachstelle) und Konzentration der festangestellten 100 % - Stellen auf das Thema Sexualisierte Gewalt.
Neuer, künstlerischer Zugang
Entwicklung eines Kunstprojekts als niedrigschwelliger, andersartiger Zugang zum Thema und Einbindung von betroffenen Personen in Veranstaltungen im Kirchengebiet. Es wurden mehrere Arbeitsgruppen mit betroffenen Personen gebildet, die verschiedene Aspekte des Zugangs zum Thema Sexualisierte Gewalt in den Fokus nehmen (Schulungsmaterial, Kunst, Einbindung des Expert:innenwissens in Veranstaltungen, liturgische Zugänge …).
Fast fertig: Leitlinien für Mitarbeitende in der Kirchenmusik
(Manuskript inkl. Illustrationen fertiggestellt, gerade im Redaktionsprozess) und eine Broschüre für jede:n Mitarbeitende:n zum Thema Sexualisierte Gewalt (Manuskript inkl. Illustrationen fertiggestellt, gerade im Redaktionsprozess), die auch eine Selbstverpflichtungserklärung enthält.
In Vorbereitung: Ergänzung zweier Betroffener als Ansprechpartner der Fachstelle
damit im Ergebnis ein Mann, eine Frau und eine diverse Person als Betroffene von Betroffenen ansprechbar sind.
Vorbereitung der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission (URAK),
deren Besetzung in den kommenden Wochen feststehen sollte und die wie geplant im Frühjahr (April /Mai) an den Start gehen soll.
Ein wichtiger Schritt zur Bildung der URAK im Verbund Hessen (der auch Teile von Rheinland-Pfalz und Thüringen umfasst) war die Bildung einer Betroffenenvertretung. Mehrere betroffene Personen haben über die erste Informationsveranstaltung hinaus Interesse an einer Mitarbeit geäußert und sich in weiteren Treffen – ohne Personen aus den Fachstellen, aber mit externer Moderation und unter Einbeziehung einer Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Traumabearbeitung – zu einer Gruppe zusammengefunden, aus deren Mitte die Vertreter:innen für die URAK benannt werden.
Maßnahmenkatalog EKD-Synode
Im neuen Jahr steht nach der Befassung der EKD-Synode mit dem Maßnahmenplan dieser Prozess auch für die EKHN an. Auch hierbei werden betroffene Personen einbezogen werden. Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt wird die Umsetzung der für die erste Jahreshälfte erwarteten neuen Anerkennungsrichtlinie bilden. Außerdem werden in jedem Dekanat sogenannte Dekanatsfachtage zur Erhöhung der Sprachfähigkeit, zur Stärkung einer gemeinsamen Haltung gegen sexualisierte Gewalt und zur Gewinnung von Verhaltenssicherheit in Verdachtsfällen seitens der Fachstelle durchgeführt werden. In Ergänzung zu geplanten digitalen Schulungsformaten, die zertifiziert werden, möchte die Fachstelle gegen Sexualisierte Gewalt mit diesen Fachtagen in der Fläche die Fachstelle für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden noch sicht- und greifbarer machen.
Anlaufstellen für von sexualisierter Gewalt betroffene Personen
Wenn sich von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen ermutigt fühlen, sich bei der EKHN zu melden, begrüßen wir das sehr.
Eine erste Anlaufstelle ist die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN, die erreichbar ist unter geschaeftsstelle@ekhn.de oder unter 06151-405 106. Ein anonymes Meldeportal gibt es hier:
Außerhalb der EKHN gibt es ebenfalls Anlaufstellen, diese sind beispielsweise hier zusammengefasst:
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