Ev. Dekanat an der Dill

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Kirchengeschichte

Die Historie als Detektivarbeit

Privat: Renz

Jonas Renz bietet wieder Kurse zur Kirchengeschichte an der VHS-Akademie Lahn-Dill an. Der 28jährige erhält durchaus positive Rückmeldungen. Warum ihn die heimische Kirchengeschichte besonders fasziniert, hat der wissenschaftliche Mitarbeiter der Justus-Liebig-Universität im Interview erzählt.

 

Frage: Wenn Sie sich irgendwo vorstellen, was sagen Sie zu Ihrer Person und Ihrem Beruf?

Antwort: Das kommt sehr auf den Kontext an. Je nachdem, wie 'aufgeschlossen', beziehungsweise firm die Gesprächspartner:innen mit Teilaspekten meines Berufes sind, betone ich eben diese, damit nicht zu viel erklärt werden muss. In der Regel bezeichne ich mich schlicht als "Kirchenhistoriker", da die meisten Menschen damit etwas anfangen können. Im akademischen Kontext ist der Zusatz "Wissenschaftlicher Mitarbeiter" jedoch notwendig und informativer.

Trotzdem ist es nicht immer leicht den Unterschied zwischen Pfarramt und einer rein akademischen Promotion zu verdeutlichen, da für viele die Arbeit an einer staatlichen Universität (im Gegensatz zum Beispiel zu einer freien Hochschule oder Bibelschule) mit der Kirche in Verbindung gebracht wird. Das ist zwar an sich nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig und sorgt immer wieder für Verwirrung.

Was machen Sie als „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ der Universität Gießen?

Meine Tätigkeiten umfassen momentan hauptsächlich die Lehre und Verwaltungsaufgaben für das Institut. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich ein Seminar (Proseminar oder Hauptseminar) pro Semester zu halten. Diese Aufgabe erfülle ich wohl am liebsten, zumal ich Lehramt studiert habe. In den Seminaren, die hauptsächlich von Lehramtsstudent:innen besucht werden, kann ich so kirchenhistorische Thematiken mit lehramtsspezifischen Anliegen und Fragestellungen verknüpfen und auf die Anliegen der künftigen Lehrer:innen eingehen.

Die Verwaltungsaufgaben beanspruchen im Vergleich wesentlich mehr Zeit und erlauben es mir unter Umständen nicht meiner eigentlichen Aufgabe - der Promotion - nachzugehen. Wegen der Übernahme dieser Verwaltungsaufgaben werde ich von meiner Vorgesetzten, Frau Prof. Dr. Athina Lexutt, jedoch entlastet. So werde ich selten mit Zuarbeiten und Korrekturen betraut, was in der Regel ebenfalls Aufgaben eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters wären.

Woran arbeiten Sie genau? - Ist der Auftrag befristet?

Meine Stelle ist eine Promotionsstelle, die der Weiterqualifikation in Form einer Doktorarbeit dient. Diese Stellen sind in der Regel halbe Stellen und auf drei Jahre befristet, können jedoch unter Umständen verlängert werden. Die generelle Befristung solcher und anderer Stellen stellt ein gewisses Problem für den sogenannten "Wissenschaftlichen Mittelbau" - also die Ebene zwischen Studierenden und Professor:innen - dar, was in jüngster Zeit wiederholt kritisiert wurde.

Im Vergleich zu anderen Optionen habe ich jedoch großes Glück diese Stelle zu haben und so meine Promotion zu finanzieren (immerhin sind circa 30 Prozent der Arbeitszeit für die Promotion vorgesehen). Hinzu kommt das gute Arbeitsklima an der Professur, wofür ich sehr dankbar bin - auch das kann innerhalb solcher Stellen sehr unterschiedlich sein und einen weiteren Stressfaktor darstellen. Konkret behandelt mein Promotionsprojekt die frühe Kirchengeschichte in Hessen und Thüringen vor und neben dem Wirken des Bonifatius - es geht also um die Ursprünge des Christentums in unserer Region.

Was fasziniert Sie an Geschichte generell?

Geschichte ist eine Möglichkeit Weltdeutungskonzepte zu entwickeln, also Antworten auf existenzielle Fragen der Gegenwart - aus dem Leben - zu finden. Auch wenn immer wieder betont wird, dass wir heutzutage anders denken würden und der historische Zugang vergangenen Generationen angehört, so stelle ich immer wieder fest, dass Menschen sich fragen, wie es früher war, woher 'das Heute' kommt und warum dies so ist. Als Theologe sollte man unter Anderem Menschen dabei helfen mit der Welt umgehen zu können, sich zu ihr zu verhalten und in und an ihr zu wachsen - hier bietet die Geschichte ein 'natürliches' Medium, das jeder Mensch nachvollziehen kann.

Zudem ist Geschichte logisch, generisch und - manchmal leider - repetitiv. Natürlich wiederholt sich Geschichte nie vollständig, aber Geschichte ist immer Geschichte von Menschen. Solange sich Menschen nicht mit der, beziehungsweise ihrer Geschichte befassen, werden sie in ähnlichen Situationen ähnliche Entscheidungen treffen und somit eine eigene, der älteren Geschichte ähnliche, Geschichte schreiben.

Auch hier kann man meines Erachtens sehen, dass sich der Mensch trotz aller Entwicklungen über die Jahrhunderte treu geblieben ist. Ob nun in der Antike oder im Mittelalter, in der Neuzeit oder heute: Immer wieder begegnen Wirtschaftskrisen, Flüchtlingskrisen, Kriege, technologische Entwicklungen, der Aufstieg und Fall von Staatssystemen, gesellschaftliche Transformationsprozesse und Anderes, was ähnlichen Mustern folgt. Das ist zum einen ernüchternd und für manche frustrierend, zum anderen befähigt dies zu einer entspannten Sicht auf die Welt und die Menschheit. Historiker:inen kennen viele Krisen und Weltuntergänge, die jedoch alle irgendwie überstanden wurden. Deswegen wird Geschichte heutzutage auch eher als Transformation begriffen und weniger als Weiterentwicklung (optimistisch) oder eine Geschichte von Brüchen (pessimistisch).

Kommen Sie aus der Dill-Region?

Ich bin in Eschenburg-Eibelshausen aufgewachsen und verstehe mich daher durchaus als einheimisch, auch wenn meine Familie nicht von hier, sondern aus Württemberg und Nordhessen stammt. Das ging anfangs mit sprachlichen Schwierigkeiten einher, aber mittlerweile verstehe ich in der Regel die örtlichen Dialekte.

Meine Verbundenheit mit meiner Heimat ist durchaus groß und so schmerzt es mich ein wenig, dass ich die tiefen Täler des Schelder Waldes östlich der Dill mit den Höhenlagen des Westerwaldes tauschen werde, aber immerhin bleibe ich in der Region.

Mich würde interessieren, wie Sie und wann Sie zur Kirchengeschichte gefunden haben und ob „Geschichte“ nicht staubtrocken ist?

Als Kind habe ich mich besonders für Geschichte und Religion interessiert und so lag ein Lehramtsstudium mit diesen beiden Fächern nahe. Im Studium bin ich mit der Kirchengeschichte in Berührung gekommen und ihr treu geblieben. Geschichte wirkt häufig trocken und kann es auch sein, vor allem, wenn sie im herkömmlichen Sinne begriffen und betrieben wird. Wenn Geschichte als die Vergangenheit großer Persönlichkeiten gesehen wird, mit Daten und vermeintlichen Fakten gespickt, ist sie recht uninteressant und hat wenig mit unserem Leben zu tun. Geschichte ist aber weder das noch ist sie festgeschrieben.

Geschichte entspricht jedoch vielmehr ihrem Wortsinn: Sie ist eine Geschichte von Menschen - ein Narrativ, das aus zahllosen kleineren Narrationen besteht. Diese einzelnen Geschichten können meiner eigenen Geschichte sehr ähnlich sein und mir somit helfen, mit meiner Welt umzugehen. Auch das Narrativ kann mit meiner Geschichte verbunden sein und so den Ist-Zustand erklären, in dem ich mich befinde. Damit wird aus einem Schicksal ein Prozess, der geändert oder verstärkt werden kann - je nachdem, was ich möchte. Diese Sicht auf Geschichte befähigt uns Menschen unser Leben nicht als ein unausweichliches Schicksal zu begreifen, sondern als eine Narration, die wie ein Roman fortgeschrieben werden kann. Das ist alles andere als staubtrocken.

Was reizt Sie an der Kirchengeschichte?

"Profangeschichte" verbindet bereits alle anderen Wissenschaften, da sie Teil der Geschichte sind. In der Kirchengeschichte wird dies theologisch zugespitzt. Die Kirchengeschichte will klären, weshalb Kirche - im engeren, institutionellen oder weiteren Sinne - ihre heutige Gestalt hat, woher bestimmte Lehren einzelner Konfessionen kommen, ob Entsprechungen heutiger Herausforderungen in der Geschichte bestehen, wie frühere Lösungswege aussahen und welches Vorgehen zum Ziel geführt hat. Dabei müssen möglichst alle Teilaspekte eines Themas berücksichtigt werden. Es reicht also nicht einfach zu schauen 'was damals war'.

Vielmehr muss untersucht werden, weshalb Menschen in dieser Situation so handelten, ob Alternativen bestanden, welche philosophischen, theologischen, naturwissenschaftlichen, politischen, usw. Systeme den Entscheidungen zugrunde lagen und ob und wie dies auf heutige Fragestellungen übertragen werden kann. Durch die Beschäftigung mit den Ursprüngen des Christentums in Mitteldeutschland kann ich so Erkenntnisse bezüglich der Missionsmethoden, dem Umgang mit anderen Kulturen und Religionen und der Rolle der Kirche im Vergleich zur Rolle weniger institutionell handelnder Personengruppen erlangen und von diesen Erkenntnissen aus versuchen, Antworten auf gegenwärtige Herausforderungen der Kirche zu finden.

Auffallend sind die Ähnlichkeiten der vergangenen und gegenwärtigen Herausforderungen - zumindest auf einer allgemeinen Ebene. Der Umgang mit anderen Kulturen und Religionen, die die Lehre des Christentums nicht verstanden und auch die philosophischen und theologischen Kontexten, aus denen das Christentum stammte, nicht kannten, ähnelt der Frage nach einer der Moderne angepassten kirchlichen Rede von Gott. Wenn man fragt, wie man Menschen Trinität, Taufe und Abendmahl, das Glaubensbekenntnis, Gnade und Rechtfertigung erklären kann, kann es helfen, nachzuschauen wie dies in der Vergangenheit versucht wurde und stellenweise gelungen ist.

Seit Januar 2023 bieten Sie Kurse an der VHS Lahn-Dill-Akademie an. Wie werden Ihre Seminare angenommen? Wer kommt zu Ihnen?

Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren sehr positiv. Hauptsächlich kommen Menschen, die sich ohnehin mit den angebotenen Themen beschäftigen. Allerdings finden die meisten Kurse aufgrund geringer Teilnehmer:innenzahlen nicht statt. Das ist sehr bedauerlich, liegt aber wahrscheinlich daran, dass viele Menschen keinen Bezug von Geschichte und Theologie zu ihrem Leben herstellen, was wiederum an den klassischen Vermittlungsmethoden liegt. Im Rahmen der schulischen Lehre, durch die die meisten mit Geschichte und Theologie in Berührung kommen, können kaum die oben beschriebenen Verbindungen angestellt werden. Dies liegt nicht an den Lehrkräften, sondern an den knapp bemessenen Zeiten und den daran angepassten Methoden, die kaum kooperatives Lernen und freies, kreatives Assoziieren zulassen. Ein Ziel meiner VHS-Kurse ist es daher auch, eine neue, der Lebenswirklichkeit nähere Sicht zu vermitteln.

Was fasziniert ist an der heimischen Kirchengeschichte?

Das besondere an regionaler Kirchengeschichte ist, dass sie bis zur Reformationszeit kaum beforscht ist. Aus verschiedenen Gründen hat man sich häufig damit begnügt, die Christianisierung Bonifatius zuzuschreiben und die Kirchengeschichte mit ihm beginnen zu lassen. Hinzu kommt eine dürftige Quellenlage, die die Region im Dunkel der Geschichte verschwinden lässt, was allgemeinen Darstellungen den Weg bereitet, die jedoch wenig Aussagekraft haben. Dabei ist weder das Wirken des Bonifatius als der 'Apostel der Deutschen' unumstritten, noch muss die Geschichte im Dunkel bleiben.

Das Problem besteht bislang darin, dass archäologische Erkenntnisse, die es in unserer Region durchaus gibt, kaum mit historischen Darstellungen verknüpft wurden und der Dillkreis bis zur Reformationszeit nur wenig Interesse von Historiker:innen erregt hat. Dadurch wurden ältere und häufig auch veraltete Darstellungen tradiert, die jedoch mehr Fragen aufwerfen als klären. Das reiche Fundmaterial der Vor- und Frühgeschichte deuten auf eine alte und reiche Geschichte der Region hin, die untersucht werden will und muss - das ist unter den genannten Umständen sozusagen historische Detektivarbeit.

Jonas Renz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kirchengeschichte am Evangelisch-Theologischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der 28jährige (Jahrgang 1994) ist Sohn von Jutta und Pfarrer Ewald Renz. Jonas Renz ist mit Natascha Renz verheiratet, das Ehepaar hat eine Tochter.

 

» Die Angebote im Rahmen der VHS Dillenburg:

 

 

 

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