Calvin und die Erweckung
Die Geschichte des ältesten Sohnes des Grafen Wilhelm des Reichen, Wilhelm von Oranien, und sein Kampf um die Befreiung der Niederlande, sei hier nur erwähnt. Für die kirchliche Entwicklung in unserem Heimatgebiet wichtiger war dessen Bruder, Johann der Ältere. Er kam 1559 an die Regierung. Zwei Jahrzehnte hielt er an der eingeführten lutherischen Lehre fest.
Die Verbindung mit der reformierten Pfalz und andere Umstände führten schließlich dazu, dass Graf Johann sich immer mehr dem reformierten Bekenntnis zuwandte. Als Schlusspunkt unter diese Entwicklung wurde 1582 der im wesentlichen von den Heidelberger Professoren Ursinus und Caspar Olevian (später Professor in Herborn) verfasste Katechismus und eine neue Kirchenordnung eingeführt.
Die Stiftung der calvinistischen Hohen Schule in Herborn 1584 wurde von großer Bedeutung für die reformierte Glaubenslehre. Europäische Bedeutung erlangte die Piscator-Bibel, die erste vollständige deutsche Bibel nach Luther, die in der akademischen Druckerei von Corvinus in Herborn gedruckt wurde.
Der Unterschied zwischen Luthertum und Calvinismus äußerte sich am deutlichsten in der Auffassung vom Abendmahl. Die römische Messe wurde abgeschafft. Bilder, Orgeln, Altäre und jeglicher Kirchenschmuck wurden vielfach beseitigt. In dieser Form hat die reformierte Kirche den kirchlichen und damit auch gesellschaftlichen Charakter unseres Landes bis heute bestimmt. Erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden erstmals wieder lutherische und kurz darauf auch wieder katholische Gottesdienste in Dillenburg gestattet.
Die Nassauische Union von 1817
300 Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers zogen 1817 die nun im Herzogtum Nassau zusammengefassten etwa gleich großen "protestantischen Konfessionen" Lutheraner und Reformierte einen Schlussstrich unter die Trennung und schlossen sich zur Nassauischen Union zusammen. Damit wurde keine neue Kirche geschaffen. Die Bekenntnisschriften, wie sie in den Gemeinden bis dahin galten, wurden weitgehend beibehalten. Geistliches Fundament sollte "die Bibel, das apostolische Glaubensbekenntnis und die Augsburgische Konfession (s. oben)" sein.
Die Erweckungsbewegung
Mehr als die Schaffung der Union war für unsere Heimat bedeutsam die vom Bergischen Land über das Siegerland ziehende Erweckungsbewegung. Ihre Forderung der Bekehrung und Wiedergeburt führte vielerorts zur Bildung von freien Gruppen und Gemeinden, die vielfach auch auf die Landeskirche befruchtend wirkten.
Im 19. Jahrhundert, im Zeitalter der Industrialisierung, sind sehr viele Arbeiter aus dem Dillkreis und dem Hinterland bis zum heutigen Wuppertal, ins Siegerland und ins Ruhrgebiet abgewandert - dorthin, wo es Bergbau und Eisenindustrie gab. Mit der Industrialisierung aus England hielt in diesen Bergbau- und Industrie-Gebieten auch die Erweckungsbewegung Einzug. Schließlich brachten die Wanderarbeiter das neue religiöse Gedankengut mit in ihre Heimat, in den Dillkreis und ins Hinterland.
Ein weiterer Grund: Viele Wanderprediger kamen in die Region. Insbesondere nach 1848, nach der Revolution in Deutschland, nachdem die Versammlungsfreiheit gewährleistet war. Hier sind sie auf fruchtbaren Boden gestoßen, weil das ländliche Gebiet damals von der Kirche unterversorgt gewesen ist. Wo ein Pfarrer für sieben, acht Dörfer zuständig war, standen den Wanderpredigern die Türen offen. Viele waren den traditionellen Kirchen gegenüber kritisch eingestellt. Es kam zu Gemeindeneugründungen.
1863 verbanden sich Teile dieser erweckten Kreise innerhalb der Landeskirche zum Herborn-Dillenburger Gemeinschafts-, Pflege- und Erziehungsverein, dem heutigen "Evangelischen Gemeinschaftsverband Herborn".
Mit der Erweckungsbewegung haben sich im Lahn-Dill-Gebiet weitere Bewegungen gegründet. Die Herborner Dekanin Annegret Puttkammer wertet die Freikirchen aber nicht als Konkurrenz: "Es sind unterschiedliche Formen, seinen Glauben zu leben. Manchen sind die verbindlichen Formen der Freikirchen näher, für andere sind sie zu eng. So findet jeder seine Heimat. Es ist keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung."
Der evangelische Pfarrer in Frohnhausen, Wolfgang vom Dahl, sieht die Freikirchen ebenfalls nicht als Konkurrenz. Es gebe nur wenige Übertritte. Jeder werde quasi in seine Gemeinde hineingeboren. Das sei bei den Volkskirchen so - und auch bei den Freikirchen. Außerdem bestehe zu den meisten Gruppen ein freundschaftliches Verhältnis. So gebe es in Frohnhausen eine Evangelische Allianz aus evangelischer Kirche, CVJM, Pfingstgemeinde und FeG.
Der Dillenburger Dekan Roland Jaeckle sieht "bei uns in der Region relativ wenige Kirchenaustritte". Wenn die Zahl der Kirchenmitglieder sinke, dann vor allem durch den demografischen Wandel. Laut Jaeckle ist das Dekanat Dillenburg "gut aufgestellt". Die evangelische Kirche ist auch Träger von 19 Kindergärten ("damit bringen wir auch christliches Profil in die Gesellschaft") und drei Diakoniestationen für die Krankenpflege. Das Dekanat versucht dem Mitgliederschwund entgegen zu wirken, in dem einzelne Kirchengemeinden "Grundkurse des Glaubens" anbieten. Zielgruppe sind Menschen, die bisher Distanz zur Kirche hielten. An sechs bis zehn Abenden werden grundsätzliche Glaubensfragen diskutiert.
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